Schaurig schön

triskele

Schaurig schöne Grüße aus der Gruft

Wo Licht ist, ist auch Schatten. Aber wie ist das eigentlich? Im Licht der Öffentlichkeit geschehen an Finanzmärkten oder in Parlamenten die unglaublichsten Machenschaften. Im Feuerschein von Artilleriebeschuss versinken ganze Orte und historische Stätten. Unter Flutscheinwerfern an Grenzbefestigungen rennen Flüchtlinge gegen die Bollwerke der westlichen Made-im-Speck-Dekadenz an. Und im Licht von Reklametafeln für Fast-Food-Ketten verhungern Kinder. Bietet das grelle Gleißen dieses Grauens nicht Grund genug, sich im dunklen Schoß von Mutter Erde zu vergraben, seinen Weltschmerz zu hätscheln und Seele wie Körper zum Altar dieses Schmerzes zu stilisieren?
Auch … Trinkhorn, schwarze Spitze, zerzaustes Haar, Friedhofsphilosophie, Rollenspiele und alte Hexenrezepte sind jedoch nicht per se reine Weltflucht. Wer von uns hat nicht schon mal den Drang verspürt, die eigene dunkle, ja vielleicht ruchlose Seite auszuleben, sich in Melancholie und Schmerz zu aalen, als seien wir selbst der Heiland? Eine gemarterte, ans Kreuz geschlagene Ikone von Sünde und (irgendwann dann auch) Vergebung. Eine Szene, wie von Caspar David Friedrich in eine schummrige Kapelle unter hochaufragende Bleiglasfenster gezaubert …
Doch Halt. Mit der Epoche der Gotik hat die „Gothic-Szene“ ursprünglich nichts zu tun. Auch nicht mit dem Volk der Goten. Vielmehr ging die „Schwarze Szene“ Anfang der 1980er Jahre aus dem Punk- und New-Wave-Umfeld hervor. Der Szene-Name selbst meint einfach ‚düster‘ und ‚schaurig‘ in Anlehnung an den dunklen Klang der Musik und die Vorliebe für Themen wie Tod und Vergänglichkeit, die u. a. von Literatur und Film beeinflusst war.

Schaurig, schaurig. Und obendrein schön schaurig. Spätestens seit dem alljährlichen Wave-Gothic-Treffen in Leipzig sind schwarzer Lippenstift, Korsage, Gruft-Parfüm und Stachelhalsband salonfähig und Séancen auf Friedhöfen, bei denen Hamster geopfert und verspeist werden, wohl eher die Ausnahme. Im Grunde sind die Düsterfrauen und -männer ein friedliebendes und sogar tiefsinniges Völkchen, dass sich schon mal mit Nietzsche und dem Existenzialismus beschäftigt und ein beachtliches Interesse an Mystik, Romantik, Philosophie und Kunst an den Tag legt. Hinzu kommt ein ausgeprägtes Körper-, Stil- und Modebewusstsein, das sich – nicht nur im Zwielicht – sehen lassen kann. Die Ästhetik zwischen Lack, Leder, Netz und Samt, von Barock, Jugendstil und mittelalterlichen Fantasy-Kostümen bis hin zu Silberschmuck, Tätowierungen sowie religiösen, mythologischen und okkulten Symbole eignet sich natürlich auch wunderbar für Wandschablonen. Mit diesen lassen sich neben Wänden auch Textilien wie Kleider, Vorhänge und Bettzeug im Gothic-Style dekorieren, was nicht nur eingefleischte Szene-Gänger ‚hellauf‘ begeistert.

So wundert es schlussendlich nicht, dass ein bekanntes Bildbearbeitungsprogramm inzwischen einen Effekt namens „Gothic Glow“ anbietet. Dieser verleiht den Fotos ein seltsam blasses Glühen, das kaum gegen die Dunkelheit anzukommen scheint. Womit wir wieder bei Licht & Schatten sind. Für manche Schlagzeilen und Titelbilder zum aktuellen Weltgeschehen durchaus angebracht. Geht aber auch mit unseren Wandschablonen und der passenden Neonfarbe.

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